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11 TWh industrielles Abwärmepotenzial in Rheinland-Pfalz – eine unterschätzte Energiequelle

In Rheinland-Pfalz stehen 11 TWh Abwärmepotenzial aus Industrieprozessen zur Verfügung – ein enormer ungenutzter Beitrag für klimafreundliche Wärmeversorgung und Energiewende.

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Dr. Anna Schmidt

Energieexpertin mit Fokus auf erneuerbare Energien und Speichertechnologien.

11 TWh industrielles Abwärmepotenzial in Rheinland-Pfalz – eine unterschätzte Energiequelle

11 TWh industrielles Abwärmepotenzial in Rheinland-Pfalz – Die unterschätzte Wärmequelle der Zukunft

Mit 11 Terawattstunden (TWh) ungenutzter industrieller Abwärme verfügt Rheinland-Pfalz über ein Wärmepotenzial, das zu den größten unerschlossenen Energiequellen des Bundeslands zählt. Diese Menge entspricht in etwa dem Jahreswärmebedarf einer Großstadt – und stellt gleichzeitig einen Rohstoff dar, der im bisherigen Energiesystem kaum eine Rolle spielte. Dabei wird die Wärme zwangsläufig in industriellen Prozessen erzeugt: in Produktionsstätten, Rechenzentren, Anlagen für Prozesskälte, Druckluft oder in industriellen Abwassersystemen.
Dass mehr als die Hälfte dieses Potenzials ganzjährig und durchgängig verfügbar ist, macht die industrielle Abwärme zu einem der am besten planbaren erneuerbaren Wärmequellen – und zu einem entscheidenden Baustein für eine klimafreundliche Wärmeversorgung.

Industrieprozesse als verlässliche Wärmequelle

Abwärme entsteht überall dort, wo Energie in Form von Wärme freigesetzt wird, die in der Regel nicht weiter genutzt wird. Viele Produktionsprozesse benötigen hohe Temperaturen, erzeugen Reibungswärme oder setzen thermische Energie frei, die anschließend ungenutzt in die Umgebung abgegeben wird.
In Rheinland-Pfalz stammen diese Abwärmemengen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Industrie- und Gewerbebereiche:

  • Lebensmittelproduktion
  • Chemische Industrie und Kunststoffverarbeitung
  • Metallindustrie, Gießereien und Heizprozesse
  • Rechenzentren
  • Kühlanlagen und Prozesskälte
  • Druckluftsysteme
  • Wärme aus industriellem Abwasser

Die Spannweite der Temperaturen zeigt, wie vielfältig dieses Potenzial ist:
von 10 °C bis hin zu extremen 1550 °C.
Damit eröffnen sich nahezu alle denkbaren Anwendungen: von der Niedertemperaturnutzung in Wärmepumpensystemen bis hin zur direkten Einspeisung in Fernwärmenetze und Hochtemperaturprozesse.

Ein oft übersehenes Potenzial

Obwohl Abwärme im gesamten industriellen Sektor ständig entsteht, wird sie in Deutschland bislang nur zu einem geringen Teil genutzt. Gründe dafür sind:

  1. Mangel an Infrastruktur: Viele Industriegebiete verfügen nicht über Wärmenetze oder geeignete Leitungswege.
  2. Fehlende Transparenz: Unternehmen wissen häufig nicht, welche Mengen und Temperaturen ihrer Abwärme wirtschaftlich nutzbar wären.
  3. Investitionshemmnisse: Lange Amortisationszeiten, technische Herausforderungen oder fehlende Geschäftsmodelle verhindern Investitionen.
  4. Getrennte Energiesysteme: Strom-, Gas- und Wärmesysteme arbeiten oft isoliert nebeneinander, obwohl industrielle Abwärme eine Verbindung schaffen könnte.

Dabei zeigt die Analyse klar: Rheinland-Pfalz könnte mit der Nutzung der industriellen Abwärme einen massiven Beitrag zur Reduzierung fossiler Energieträger leisten – und gleichzeitig die Kosten für Verbraucher und Industrie senken.

11 TWh pro Jahr – was bedeutet das in der Praxis?

Um die Größenordnung greifbar zu machen:

  • 11 TWh entsprechen dem jährlichen Wärmebedarf von rund 600.000 Haushalten.
  • Es handelt sich um eine Energiemenge, mit der man mehrere mittelgroße Städte komplett mit Wärme versorgen könnte.
  • Würde dieses Potenzial vollständig genutzt, könnten jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden – je nachdem, welche fossilen Energien ersetzt würden.

Doch das eigentlich Entscheidende ist die jährliche Verfügbarkeit. Mehr als die Hälfte der Abwärmepotenziale treten kontinuierlich auf – ein riesiger Vorteil gegenüber saisonalen erneuerbaren Energien wie Solarthermie.

Wie industrielle Abwärme nutzbar gemacht wird

Die Nutzung industrieller Abwärme kann auf verschiedene Arten erfolgen. Typische Pfade sind:

1. Direkte Einspeisung in Nah- und Fernwärmenetze

Hoch- und mittlere Temperaturen eignen sich hervorragend, um Wärmenetze zu speisen.
Das reduziert fossile Spitzenlastkessel und erhöht die lokale Versorgungssicherheit.

2. Nutzung über Großwärmepumpen

Bei Niedertemperatur-Abwärme (z. B. < 60 °C) können Großwärmepumpen die Temperatur auf Fernwärmeniveau anheben.
Diese Kombination ist besonders klimafreundlich, wenn der Antrieb über erneuerbaren Strom erfolgt.

3. Prozesswärmenutzung in der Industrie

Unternehmen können ihre eigenen Abwärmeströme intern nutzen, etwa durch:

  • Wärmerückgewinnung
  • Vorwärmung von Materialströmen
  • Heizung von Hallen oder Produktionsstätten

4. Kopplung mit Rechenzentren

Rechenzentren verursachen dauerhaft hohe Wärmemengen bei stabilen Temperaturen – ein Energielieferant, der Tag und Nacht verfügbar ist.

Praxisbeispiel: Abwärme eines Rechenzentrums versorgt 20.000 Haushalte in Mainz

In Mainz zeigt ein aktuelles Projekt sehr eindrucksvoll, wie industrielle Abwärme sinnvoll genutzt werden kann.
Ein nachhaltiges Rechenzentrum speist die Wärme seiner Server über Großwärmepumpen direkt in das Mainzer Fernwärmenetz ein.
Die erzeugte Abwärme reicht rechnerisch aus, um den Jahreswärmebedarf von rund 20.000 Haushalten zu decken.

Warum ist das so wirksam?

  • Rechenzentren laufen 24/7, also ohne Unterbrechung.
  • Die Abwärme fällt in konstanten Temperaturbereichen an.
  • Sie ist planbar, berechenbar und stetig verfügbar.
  • Das Potenzial skaliert mit wachsender Digitalisierung.

Diese Art der Wärmeerzeugung reduziert fossile Wärmeerzeuger und spart große Mengen CO₂ ein.

Warum Rheinland-Pfalz besonders geeignet ist

Rheinland-Pfalz hat mehrere Standortvorteile für die Nutzung industrieller Abwärme:

1. Hohe Industriedichte

Von Chemieparks bis hin zu Lebensmittelunternehmen – die Struktur ist vielfältig und erzeugt viele potenziell nutzbare Abwärmeströme.

2. Gut ausgebauter Mittelstand

Viele Unternehmen arbeiten traditionell energieintensiv, aber zunehmend klimabewusst – ideale Voraussetzungen für Investitionen.

3. Wachsende Rechenzentrumsbranche

Insbesondere im Rhein-Main-Gebiet sind Rechenzentren stark im Wachstum.

4. Nähe zu Ballungsräumen

Städte wie Mainz, Trier, Koblenz und Ludwigshafen benötigen große Mengen Wärme – oft in unmittelbarer Nähe zu Industriegebieten.

5. Politische Unterstützung

Landes- und Bundesebene fördern Wärmeinfrastruktur und Abwärmekonzepte zunehmend.

Herausforderungen und Lösungswege

Trotz großer Potenziale gibt es strukturelle Hürden:

1. Infrastrukturdefizite

Wärmenetze entstehen häufig erst dort, wo Projekte schon geplant sind.
Daher ist der Ausbau der Wärmenetzinfrastruktur eine zentrale Voraussetzung.

2. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Unternehmen benötigen Anreize, um Abwärme nutzbar zu machen – z. B. durch Förderprogramme für Wärmepumpen, Leitungsbau und Energiemanagement.

3. Planungs- und Genehmigungsprozesse

Viele technische Lösungen existieren bereits, doch oft fehlen standardisierte Prozesse und Genehmigungsverfahren.

4. Informationslücken

Unternehmen unterschätzen häufig ihr eigenes Wärmepotenzial oder kennen den Markt für Abwärmenutzung nicht.

Eine stärkere Vernetzung von Unternehmen, Kommunen und Energieversorgern ist daher essenziell.

Die Rolle der Abwärme in der Wärmewende

Abwärme ist ein entscheidender Bestandteil der Wärmewende:

  • Sie ist regional, verlässlich, klimaneutral und kostengünstig.
  • Sie senkt die Abhängigkeit von Erdgas.
  • Sie ergänzt erneuerbare Energien wie Wärmepumpen, Biomasse und Solarthermie.
  • Sie entlastet das Stromnetz, wenn Wärmepumpen effizienter arbeiten.

Mit dem wachsenden Ausbau von Wärmenetzen in Deutschland wird industrielle Abwärme künftig eine noch größere Rolle spielen.

Fazit: 11 TWh als strategischer Schatz für Rheinland-Pfalz

Die verfügbaren 11 TWh industrieller Abwärme in Rheinland-Pfalz sind ein gewaltiger Hebel für eine klimafreundliche, sichere und bezahlbare Wärmeversorgung.
Sie bieten eine regionale, stetige und planbare Energiequelle, die sowohl Industrie als auch Haushalte versorgen kann.
Das Beispiel aus Mainz zeigt eindrucksvoll, wie moderne Technik industrielle Wärme in städtische Versorgungskonzepte integriert.

Mit gezielter Infrastruktur, klugen Förderinstrumenten und stärkerer Vernetzung kann Rheinland-Pfalz dieses Potenzial vollständig heben – und damit zu einem bundesweiten Vorbild für klimafreundliche Wärmenutzung werden.

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